Gastbeitrag: Zur Lösung auf Umwegen – mit Christoph Schneider

Was passiert, wenn wir digitale Interaktionen mit Humor, Material und Körper zurückerobern – und das Mausrad plötzlich im WC-Papier steckt? Im Gastbeitrag zeigt Christoph Schneider, Masterstudent Digital Ideation an der HSLU, wie Chindogu und Tinkering zu spielerischen Prototypen führen, die neue Perspektiven auf Interface-Design eröffnen.

Fast-unnützliche Interaktion mit digitalen Medien

Gelangweilt sitze ich im Zug nach Basel und swipe, zoome und scrolle mich auf dem Smartphone durch die immer wieder gleichen Abläufe in meinen Apps. Ich wünsche mir mehr Vielfalt in der Interaktion mit digitalen Medien. User-Interface-Design folgt heute eingeübten Mustern. Sie helfen beim Zurechtfinden, lassen Interfaces aber oft gleich aussehen und sich gleich anfühlen. Mit generativer KI können solche Standards in kürzester Zeit repliziert werden. Was dabei fehlt, ist das körperliche Erleben. Gestaltung wird virtuell abgewickelt, obwohl Interaktion immer körperlich ist. Was wäre zum Beispiel, wenn wir auf der Toilette mit dem WC-Papier durch unseren Newsfeed scrollen könnten?

Der Prototyp Toilet Doomscrolling zeigt, wie es aussehen könnte

Das Abrollen des WC-Papiers wird auf ein dahinterliegendes Mausrad übertragen.

 

Die Frage lautet: Wie bringen wir Material, Körper und Humor zurück in die frühe Phase des Entwerfens, damit neue Perspektiven auf digitale Interaktion entstehen? Oder, zugespitzt: Wenn alles gleich aussieht und funktioniert, wozu braucht es noch Gestalter:innen?

Mut zum Machen

Chindogu sind fast-unnützliche Erfindungen, die Anfang der 90er-Jahre in Japan durch Kenji Kawakami bekannt wurden. Chindogu-Objekte bieten einen Ansatz zur Lösung eines Problems, sind bei näherem Hinsehen aber auf charmante Weise überflüssig. Sie müssen die Welt nicht verbessern, sondern machen Möglichkeiten sichtbar. Wie verändern sich Interaktionen mit digitalen Medien, wenn wir mit dieser Haltung Prototypen entwickeln?

Damit eine Erfindung als Chindogu zählt, gelten zehn Grundsätze. Kurzgefasst: Sie ist eigentlich nutzlos, existiert wirklich, trägt den Geist der Anarchie, entspringt dem Alltag, ist nicht für den Verkauf, entsteht nicht aus reiner Laune, ist unschuldig und nicht propagandistisch, nie tabu, nicht patentierbar und stets vorurteilsfrei.

Chindogu funktionieren nicht immer, ihre Funktion muss aber auf einem Foto erkennbar sein.

«Raucher-Zahnbürste»

Der «das kann man immer noch brauchen»-Ansatz

Der Bricoleur, bekannt aus Lévi-Strauss «Das wilde Denken», arbeitet mit dem, was da ist. Er greift auf Materialreste und vorhandene Werkzeuge zurück und betrachtet Dinge mit dem Blick «das kann man immer noch brauchen». Im Gegensatz zur Ingenieursperspektive plant er nicht das perfekte Werkzeugset im Voraus, sondern nutzt die vorhandene Sammlung.

Heute umfasst dieses Repertoire nicht nur handwerkliche Mittel. Für Human-Computer-Interaction gehören dazu auch KI-Tools sowie bestehende Soft- und Hardware. Wie Materialien können auch Tools situativ umgenutzt werden. Entscheidend ist nicht die Komplexität der Mittel, sondern wie kreativ sie eingesetzt werden. Das führt zu einem Werkzeug, das allzu oft in den Hintergrund tritt: die Computermaus.

Eine etwas in die Jahre gekommene Computermaus.

Der gut getarnte Technik-Nager

Die Maus ist der unscheinbare Helfer am Computer. Manchmal mit Kabel, manchmal ohne, mit Seitentasten oder reduziert auf linke und rechte Taste und ein Scrollrad. Durch Trackpads und Touchscreens nutzt man sie seltener. Dennoch kann die Maus mit fast jedem Gerät verbunden werden und ermöglicht Klicken und Scrollen auch ohne Touchscreen.

Sie ist robust und lässt sich einfach zerlegen. Was können wir aus ihren «Innereien» erschaffen? Elegant müssen die Lösungen nicht sein, dafür sind sie schnell und oft verblüffend charmant in der Umsetzung. Ohne Programmierwissen bietet die Maus eine leicht verständliche Schnittstelle zwischen physischem und digitalem Raum.

«Scroll-Sporen» Ermöglicht das Scrollen während dem Gehen.

Interaktionen gestalten

Im November findet dazu ein zweiteiliger Workshop am HEK (Haus der Elektronischen Künste Basel) statt. Dort arbeiten wir mit Assoziationen: Wie lassen sich Objekte und Handlungen kombinieren, umkehren oder zweckentfremden? Wie sonst kann ein Mausrad betätigt werden, ausser mit dem Finger? Was passiert, wenn der Körper etwas auslöst? Mit einfachen Materialien und ohne Programmieren entstehen neue, humorvolle Interaktionen mit digitalen Medien. Im Vordergrund stehen Ausprobieren und schnelles Umsetzen. Um den Einstieg zu erleichtern, dient eine Computermaus als gemeinsame Hardwarebasis. Wir öffnen die Kunststoffhülle, schauen, was darunter steckt, und nutzen es für ungewohnte Interaktionen.

Ziel ist nicht, ein praktisches, vermarktbares Produkt zu entwickeln, sondern dem Bedürfnis nach körperlichen Interaktionen Raum zu geben. Was können wir gemeinsam entstehen lassen? Entwickelst du die ersten Hausschuh-Rechtsklick oder das Auswahlohrläppchen? Vielleicht auch den Instagramm-Rollmeter oder einen physischen Webcam-Filter? Angesprochen sind alle Experimentierfreudigen, die gerne um die Ecke denken oder es lernen möchten.

Anmeldung über die HEK-Website: xxxx

Video: WC-Papier wird als Screen eingesetzt