Pilzgeflechte und Bewusstseinsräume – Netzwerke zwischen Natur, Technologie und Kunst

Wie können Pilze unsere Sicht auf Intelligenz verändern? Susanne Hartmann teilt Gedanken aus ihrer Arbeit Experiments III – zu sehen in der HEK-Ausstellung «Andere Intelligenzen» bis zum 10.08.2025.

Ein leuchtender Wald

Wie entsteht Bewusstsein, und wo existiert es vielleicht schon längst, jenseits von uns selbst? Erkundend entlang dem Wechselspiel von Kunst, Naturwissenschaft und Design interessieren mich graduelle, oft unsichtbare Veränderungsprozesse von Systemen und das Integrieren von verschiedenen Arten von Wissen.

Wie bin ich auf den Pilz gekommen? Eine Schlüsselerfahrung hatte ich nachts in einem völlig dunklen Wald. Dort leuchtete Totholz – nicht durch Phosphor, wie ich vermutete, sondern durch bioluminiszente Pilzmyzelien. Ich begann, das verrottende Holz zu sammeln und zu beobachten, und stiess bald auf das Konzept des Wood Wide Web. Dieser Begriff beschreibt das unterirdische Netzwerk aus Mykorrhizapilzen, das Pflanzen nicht nur verbindet, sondern Ressourcen zwischen ihnen untereinander und auch den Fungi verteilt.

Was früher als Austausch biologischer Rohstoffe galt, wird inzwischen auch als eine Form von Kommunikation entdeckt. Bäume warnen einander, unterstützen Setzlinge oder sterben altruistisch, indem sie Nährstoffe an die Umgebung abgeben.

Experiments III, Ausstellungsansicht «Andere Intelligenzen», HEK, Basel 2025. Foto: Susanne Hartmann.

Der Wald als Superorganismus

Das zunehmende Verständnis des Wood Wide Web wirft die Frage auf, wo Arten beginnen und enden. Stellt man sich einen Wald besser als einen einzigen Superorganismus vor, anstatt als eine Gruppierung unabhängiger, individualistischer Arten?

Diese Idee einer verteilten Intelligenz oder eines Netzwerks, das Denken nicht in einem Zentrum lokalisiert, hat meine Arbeit schon im Projekt begleitet. Dort brachte ich Musik als universelle Sprache mit Rhizomen, Topologien und natürlichen Prozessen zusammen. Das Myzel ist strukturell dezentral und funktional verbunden. Wir können es nicht nur als ein biologisches Phänomen betrachten, sondern auch als ein Denkmodell. Eines, das einen kolonialen Bias aufbricht, insofern westliche Wissenssysteme bislang auf Dichotomie, Kontrolle und Individualismus beruhten.

Alles ist verbunden

Ich habe gelesen, dass der grösste bisher entdeckte Organismus auf der Erde ein 965 Hektar grosses Pilzgeflecht in Oregon ist. Wie können wir wissen, dass nicht alle wachsenden Organismen auf dem Planeten Erde, und vielleicht darüber hinaus, über ein Pilzrhizom verbunden sind, so wie es beim Wood Wide Web der Fall ist?

Je mehr wir vom Kleinen zum Grossen kommen, desto mehr lernen wir, dass Subjekte untereinander und Subjekte und Objekte miteinander verbunden sind. Der Superorganismus Wald und der einzelne Setzling. Oder ein einzelnes Bakterium und der Superorganismus Mensch.

Ich stelle mir vor, dass Bewusstsein in mehreren Ebenen vorkommt. Und dass eine Insel des Bewusstseins immer wieder von einem noch grösseren Kreis umfasst wird, der ebenfalls ein Bewusstsein hat, und so weiter. Wenn wir diese neue Sichtweise einnehmen und einem Wald, unserem Planet, dem Meer ein Bewusstsein zusprechen, was bedeutet das für unseren Umgang mit ihnen?

Lieutenant Paul Stamets, Star Trek.

Star Trek: Predicting the future since 1966 

Die Pseudowissenschaft von Star Trek hat Begriffe aus der wissenschaftlichen Forschung aufgegriffen und weitergedacht, ohne die Einschränkung der Korrektheit oder des Status quo der Wissenschaft. Die Schöpfer von Star Trek nutzen ihre Kreativität, um eine fantastische Welt zu entwerfen, die nach ihren eigenen Regeln funktioniert.

Diese kühnen und entspannten Ansätze scheinen Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen dazu zu inspirieren, die in den Filmen gezeigten futuristischen Geräte oder Techniken tatsächlich zu realisieren. Wissenschaft wird ständig durch bessere Wissenschaft widerlegt. Was einst wie Magie erschien, wird 100 Jahre später durch die Physik erklärt. Die Wissenschaft erklärt etwas für unmöglich. Später entdeckt eine andere Wissenschaft einen anderen Zugang zur Realität und stellt fest, dass es möglich ist.

In der Serie Star Trek: Discovery wird ein buchstäbliches Myzel entdeckt, das alles im Weltraum miteinander verbindet, genau wie das Wood Wide Web. Die Ingenieure des Raumschiffs Discovery entwickeln einen speziellen Antrieb, um entlang der «Adern und Muskeln, die unsere Galaxien zusammenhalten» zu reisen, wie Lieutenant Paul Stamets sagt. Der Charakter hat seinen Namen vom realen Pilzforscher Paul Stamets, der gerade an Bekanntheit gewinnt, auch weil er sich für den Konsum von psychedelischen Pilzen einsetzt.

Den sogenannten Sporenantrieb, den Lt. Paul Stamets erfunden hat, bedient er, indem er seinen Körper und sein Bewusstsein mit dem Gerät verbindet. Aus reiner Gedankenkraft navigiert er das Raumschiff. Der Antrieb ist ein Interface zu diesem allumfassenden Pilzgeflecht, Stamets befindet sich quasi in einer anderen Bewusstseinsebene.

Experiments III, Foto: Fidel Gomez Sanchez.

Kosmisches Denken

Die Maschinerie des Universums liegt noch jenseits unserer Vorstellungskraft. Wohin führt uns der Ansatz, alle Dinge mit Bewusstsein oder sogar lebendig zu sehen?

Darüber tauschte ich mich aus mit einem Kollegen, Alejandro Nolla aus Cuernavaca, Mexiko aus, mit dem ich 2012 gemeinsam in Basel studierte. Seine Arbeiten zeigen oft eiförmige Kreaturen, die bewusste, unbekannte Lebensformen darstellen. Sie ernähren sich vom Universum selbst.

Wir stellten fest, dass die Phänotypen unserer aktuellen Arbeiten zwar unterschiedlich sind, aber das gleiche Interesse teilen. Wir wollen das Bewusstsein oder/und das kollektive Bewusstsein verstehen und mit der Struktur des Universums vergleichen.

Als ich 2022 durch Oaxaca, Mexiko reiste, stiess ich auf Bergdörfer, in denen psychedelische Pilze legal konsumiert werden. Das Erbe der schamanistischen Kultur ermöglicht durch die Pilze eine Verbindung zu tieferen Verständnis und einem kollektiven Bewusstsein.

Ich bezeichne es als das Myzel der Vorfahren. In meiner Arbeit wird das Myzel zu einer Metapher genau dafür – für ein Denken, das nicht im Individuum beginnt, sondern im Zwischenraum.

Rosenseitling, Foto: Susanne Hartmann.

Leben als Verflechtung

Das Wood Wide Web widerspricht dem westlich geprägten Bild von Natur als Ansammlung autonomer, konkurrierender Individuen. Die Vorstellung von einem Wald als kooperativem, kommunizierendem System kollidiert mit einem Denken, das Trennung und Hierarchie betont: Subjekt/Objekt, Mensch/Natur, Kultur/Wildnis.

Donna Haraway spricht von «Verflechtungen», einer Realität, die sich nicht durch Trennung, sondern durch Koexistenz erklärt. Der Theorie der Endosymbiose von Biologin Lynn Margulis besagt, dass eukaryotische Zellen durch Verschmelzung entstanden sind. Zum Beispiel waren unsere Mitochondrien einst eigenständige Bakterien. Das unterstützt diesen Gedanken: Leben basiert auf Kooperation, nicht Konkurrenz.

Auch das Myzel lebt in dieser Logik. Vielleicht, so Margulis, ist es nicht bloss ein Bestandteil des Lebens, sondern seine Grundstruktur. Je tiefer man sich mit diesen Systemen beschäftigt, desto mehr Ähnlichkeiten werden sichtbar. Die Verknüpfungen eines Myzels ähneln neuronalen Netzen, aber auch der Struktur des Kosmos. Galaxienhaufen als Knotenpunkte, verbunden durch filamentartige Gasstrukturen, die Materie austauschen.

Experiments III, Ausstellungsansicht «Andere Intelligenzen», HEK, Basel 2025. Foto: Fidel Gomez Sanchez.

Denkt dann das Universum?

In der Physik ist das Thema der Quantenverschränkung gerade zu vorderst. Wir bauen Quantencomputer und beginnen zu verstehen, wie es sein kann, dass alles miteinander verbunden ist. Einige Theorien postulieren, dass Bewusstsein nicht nur ein neurobiologisches Produkt ist, sondern ein Phänomen mit der Möglichkeit zur Verschränkung.

Animismus ist ein Konzept, das wir von indigenen Epistemologien kennen. Es wurde lange als magischer Glaube belächelt und marginalisiert. Doch heute stellen sich auch wissenschaftliche Disziplinen zunehmend diese Fragen und tauchen ein in solche Gedankenexperimente und Theorien.

Bevor ich mit Freunden in eine Residency nach México reiste, habe ich mich mit der Technikerin bei meinem Neurologen unterhalten, die immer die EEGs durchführt. Da ich Epileptikerin bin, gehe ich zweimal im Jahr ein EEG machen lassen. Es ist ein spannender Prozess, durch den Neurolog:innen viele meiner Bewusstseinszustände dokumentieren und deuten können.

Ich stattete mich bei ihr mit Elektroden aus, da mich die bioelektrische Aktivität von Pflanzen und Pilzen interessierte. Zahlenwerte von der Messung eines Baums erinnerten mich an Rituale der Mixe-Kultur, ein Volk, das in den Hügeln von Oaxaca lebt. So wie auch die Mixteca und viele andere Völker betrachten sie vieles als beseelt. Der Fluss hat einen Geist, der Berg, ein Blitz.

In diesen Kulturen gibt es eigene Kalender und Numerologie. Es gibt heilige Zahlen und schlechte Zahlen. Den Geistern können Zahlen geopfert werden in Ritualen, etwa für Heilung, für die Jagd, oder zur Stärkung des Naguals. Ich stellte diese Zahlen im Werk Rituals and Numbers gegenüber mit jenen, die ich vom Rhythmus der Aktivität des Baumes bekommen habe.

Experiments III, Ausstellungsansicht «Andere Intelligenzen», HEK, Basel 2025. Foto: Fidel Gomez Sanchez.

Experiments III, Ausstellungsansicht «Andere Intelligenzen», HEK, Basel 2025. Foto: Fidel Gomez Sanchez.

Experiments III

In Experiments III werden die bioelektrischen Impulse von Pilzen gemessen und von einem Amplifier-Schaltkreis mit LEDs in Licht übersetzt.

Im oberen Teil eines Gerüsts sind Myzelblöcke mit wachsenden Pilzen.  Deren EEG-Lichtimpulse werden durch ein Glasfaserkabel geleitet. So bringt das Werk die Materialität des (im Grunde bionischen) World Wide Web mit dem Wood Wide Web zusammenbringt. Die Elektronik ist mit einem batteriebetriebenen Verstärker und Kupferelektroden zum Stecken gelöst. Dank den durch die Batterie autarken Geräten sind die Messungen frei von Störsignalen.

Fungi sprechen sehr langsam. Vom höchsten Punkt bis zum niedrigsten einer Amplitude im Rhythmus des Pilzes kann es bis zu zwanzig Minuten dauern. Das Licht ist deshalb meist entweder an oder aus, und nur selten flackern.

Im Fundament des Baugerüsts wachsen Fungi in einem anderen Stadium. Pilze können als Architekten des Lebens bezeichnet werden, weil sie eine entscheidende Rolle im Ökosystem spielen und eine Lebensgrundlage für unzählige Organismen bilden. Pilze denken. Sie können sich erinnern und zeigen die Fähigkeit, Formen und Geometrien zu erkennen und sich an die Umgebung anzupassen.

Ich züchtete über einige Wochen Myzeliumkulturen, die über den Cours der Ausstellung in spezifische Formen wachsen. Dazu kultivierte ich Sporen auf Agar-Agar und purifizierte diese Kulturen in mehreren Durchläufen. Zuerst bilden sich feine Hyphae, die sich dann zu einem dickeren Geflecht, dem Myzel, ausbilden. Genug starkes Myzel transferiere ich im Labor in Petrischalen mit Nährstoffen und später in eigens hergestellten Glasschalen.

Mich interessierte, welche äussere Form Bewusstsein haben könnte, und liess die Myzele da hineineinwachsen. Die Designs der Glasschalen sind angelehnt an Formen, auf die ich im Prozess gestossen bin. Neben meinen eigenen Zeichnungen einer vorhergehenden Serie «Identity» hatte ich Inputs aus der schamanistischen Kultur u.a. von México, sowie die Antwort einer KI.

Die Entscheidung, diese Referenzen in das Werk einzubeziehen, war auch ein Hinweis darauf, dass solche Perspektiven wissenschaftlich relevant sein können. In meiner Vergangenheit habe ich oft aus der Perspektive wissenschaftlicher Systeme gearbeitet – heute versuche ich, diese zu öffnen und eine Symbiose verschiedener Wissensmodelle zu suchen.

Das Myzel wird für mich zu einem Sinnbild dafür, wie wir Welt denken können: nicht linear, nicht getrennt, sondern als lebendiges, vernetztes Geflecht. Zwischen Kunst, Technologie und Natur entsteht so ein Raum, in dem sich neue Formen des Bewusstseins zeigen – leise, langsam und voller Bedeutung.

Glossar:

Agar-Agar
Ein Gel aus Algen, das im Labor verwendet wird, um Pilze oder Bakterien zu züchten.

Animismus
Die Vorstellung, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen oder Dinge einen Geist oder ein Bewusstsein haben.

EEG (Elektroenzephalogramm)
Ein Verfahren zur Messung von elektrischer Aktivität im Gehirn.

Endosymbiose
Die Theorie, dass komplexe Zellen durch das Zusammenleben verschiedener einfacher Organismen entstanden sind.

Epistemologie
Die Lehre davon, wie Wissen entsteht und wie wir etwas erkennen.

Filamente / Galaxienhaufen
Grosse Strukturen im Universum, in denen Galaxien netzartig verbunden sind.

Hyphen
Feine Pilzfäden, aus denen sich das Myzel bildet.

Interface
Eine Schnittstelle, über die Mensch und Technik miteinander verbunden werden.

Mykorrhiza
Die Verbindung von Pilzen mit Pflanzenwurzeln, bei der beide Seiten voneinander profitieren.

Myzel
Das feine Geflecht unterirdischer Pilzfäden, das Pilze miteinander und mit Pflanzen verbindet.

Nagual
Ein Begriff aus mesoamerikanischen Kulturen für eine spirituelle Kraft oder ein persönliches «anderes Selbst».

Neuronales Netz
Ein Netzwerk von Nervenzellen im Gehirn oder ein Computermodell, das so ähnlich funktioniert.

Phänotyp
Die sichtbaren Merkmale eines Lebewesens, die durch Gene und Umwelt bestimmt werden.

Purifizieren
Etwas reinigen oder filtern, um es von unerwünschten Stoffen zu befreien, z. B. eine Pilzkultur.

Quantenverschränkung
Ein physikalisches Phänomen, bei dem zwei Teilchen miteinander verbunden bleiben, selbst wenn sie weit voneinander entfernt sind.

Rhizom
Ein Bild für netzartige, nicht hierarchische Strukturen – in der Natur und in der Theorie.

Sporen

Ein winziges Vermehrungsorgan von Pilzen, mit dem sie sich ausbreiten und neue Myzelien bilden können.

Superorganismus
Ein grosses System, das aus vielen Einzelteilen besteht und wie ein gemeinsamer Organismus funktioniert, z. B. ein Wald.

Topologie
Die räumliche Struktur oder Anordnung eines Netzwerks oder Systems.

Wood Wide Web
Ein unterirdisches Netzwerk aus Pilzen und Pflanzenwurzeln, das Nährstoffe und Informationen zwischen Bäumen austauscht.

World Wide Web
Das globale Computernetzwerk, über das wir Webseiten aufrufen. Oft als technische Entsprechung zum Wood Wide Web gegenübergestellt.