NFTs – Einblicke in tiefe, offene und trübe Gewässer

NFTs werden von einigen als die Zukunft der Kunstwelt gepriesen, aber inwiefern verändern sie wirklich das bestehende System? Gastbeitrag der Künstlerin und Informatikerin Julia Schicker.

NTFs – wir haben viel über sie gehört während des ersten Mainstream-Hypes im Februar und Anfang März dieses Jahres (2021), der im Verkauf von Everydays – The First 5000 Days von Beeple durch das Auktionshaus Christie’s für 69 Millionen Dollar gipfelte (das ist der dritthöchste Preis, der jemals für ein Werk eines lebenden Künstlers gezahlt wurde!).

Es gibt viele verschiedene Dinge, die bei der Betrachtung von NFTs eine Rolle spielen, was es zu einem sehr dichten Thema macht. Technologie, Ökologie, Ökonomie, der Kunstmarkt und die digitale Kultur spielen alle eine Rolle darin. In diesem Artikel werde ich kurz auf all diese miteinander verknüpften Themen eingehen.

Doch zunächst eine kurze Erklärung von NFTs:

NFTs sind Non-Fungible Tokens, das heißt, sie sind ein einzigartiges digitales Ding. Sie werden auf Blockchains gespeichert (die später in diesem Artikel erklärt werden). NFTs sind nicht nur Kunst, sondern können jede beliebige digitale Datei (Video, Bild, etc.) darstellen, wie z.B. NBA Top Shots (Videos der bemerkenswertesten Momente von Basketballspielen), Token in Online-Spielen oder digitale Sammlerstücke wie Baseballkarten. (Für eine ausführliche Erklärung siehe https://www.theverge.com/22310188/nft-explainer-what-is-blockchain-crypto-art-faq)

 

Beeple, Everydays – Die ersten 5000 Tage, NFT, 21.069 Pixel x 21.069 Pixel (316.939.910 Bytes). Bild mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Christie’s

Die Technologie hinter NFTs

NFTs werden auf der Blockchain gespeichert, einer Datenstruktur, die es seit etwas mehr als einem Jahrzehnt gibt und die in den letzten sieben Jahren viel Aufmerksamkeit in den Medien erfahren hat. Die Blockchain ermöglicht es, Informationen zu speichern, die nach dem Speichern nicht mehr veränderbar sind, was sie sehr sicher macht. Eine Blockchain ist dezentralisiert, was bedeutet, dass es viele Kopien dieser Datenstruktur gibt, die auf vielen verschiedenen Servern gespeichert sind, die wiedrum verschiedenen Personen gehören. Es werden regelmäßig Datenblöcke zur Blockchain hinzugefügt. Diese Blöcke werden authentifiziert, wofür der:die Authentifizierer:in eine finanzielle Belohnung erhält. Dies wird Mining genannt und so verdienen die Leute Geld, indem sie in Server investieren, um neue Blöcke zu authentifizieren.

Es ist wichtig zu wissen, dass die meisten NFTs nur einen Code enthalten, der ihre Einzigartigkeit authentifiziert und den Link zum Kunstwerk enthält, nicht das Kunstwerk selbst. Das Kunstwerk wird also nicht in der Blockchain gespeichert. Wenn der Link zum Kunstwerk (das überall im Internet gespeichert sein kann) kaputt geht, ist der Eintrag in der Blockchain, der die Einzigartigkeit des Werkes bestätigt, nicht mehr mit dem Werk verbunden.

Mit dem Kauf eines NFT erhält der Käufer die digitalen Rechte an dem jeweiligen Kunstwerk. Was diese digitalen Rechte sind, ist allerdings noch nicht ganz klar. Christie’s zum Beispiel gibt in den Terms & Conditions des Beeple-Verkaufs an, dass sie im Moment noch nicht genau wissen, was sie da verkaufen.

Ein sehr wichtiger und vielgepriesener Vorteil von NFTs ist, dass die Künstler:innen von den Zweitverkäufen profitieren können, indem sie entscheiden, wie viel Prozent des Wiederverkaufspreises sie erhalten möchten. Dies wirkt dem oft gesehenen Problem entgegen, dass Künstler:innen nichts von dem Gewinn erhalten, der durch den Weiterverkauf ihrer Werke erzielt wird.

 

Google-Suche nach ‘Ethereum Kurs’, Screenshot

Krypto-Wirtschaft

NFTs können nur mit Kryptowährungen gekauft und verkauft werden. Daher werden die Preise von NFT-Kunst durch die Preisschwankungen von Kryptowährungen beeinflusst. Wenn man als Künstler:in oder Sammler:in NFTs verkaufen oder kaufen möchte, muss man zuerst Kryptowährung kaufen. Die Krypto-Wirtschaft ihrerseits hat allerdings auch noch ihre eigene Dynamik, die ziemlich stark in die monetären Werte von NFTs hineinspielen. Die Bitcoin-Blockchain (die erste Blockchain) wurde Ende 2008, Anfang 2009 erstellt – genau in der Zeit der großen Finanzkrise. Es wird angenommen, dass die Blockchain von Krypto-Anarchisten entwickelt wurde, um ein von Zentralbanken unabhängiges Finanzsystem zu schaffen. Aber da der ursprüngliche Autor der Bitcoin-Implementierung, Satoshi Nakamoto, nur unter diesem Pseudonym bekannt ist, ist das nicht ganz klar.

Die Krypto-Wirtschaft wächst vor allem dadurch, dass sie mehr Menschen anzieht, mehr Menschen an ihrer Wirtschaft teilhaben lässt. Sie wird darum manchmal auch als kopfloses Ponzi-Schema bezeichnet, was bedeutet, dass die Menschen, die früh dabei waren, von all den Menschen profitieren, die später dazukommen. Für dieses Wachstum ist es sinnvoll, mehr Optionen für die Verwendung von Kryptowährung zu schaffen. Kunst ist dafür bekannt, hohe Preise zu erzielen, und Künstler:innen sind dafür bekannt, dass sie oft nach neuen Wegen suchen, um mit ihrer Kunst Geld zu verdienen. Kunst ist verlockend und hat das Potenzial, die Aufmerksamkeit vieler Personen zu erregen, was sie zum perfekten Kandidaten für die Krypto-Wirtschaft macht. NFTs und insbesondere NFT-Kunst werden darum oft als ein Marketing-Gag der Kryptowirtschaft gesehen, um mehr Leute anzulocken.

Ich frage mich ein bisschen, was passieren wird, wenn bestimmte Blockchains in und andere aus der Mode kommen (ich nehme an, dass dies ein bisschen wie bei soziale Netzwerken funktioniert, die an Bedeutung gewinnen und verlieren) – werden NFTs, die ja auf bestimmten Blockchains sind, auch an Wert oder Interesse verlieren, nur weil sie mit einer Währung verbunden sind, die derzeit nicht so sehr “en vogue” ist?

 

Ökologische Bedenken

Die meisten Blockchain-Implementierungen sind das direkte Gegenteil von umweltfreundlich. Es gibt Berechnungen, die besagen, dass alle Blockchains zusammen (wobei die Bitcoin- und Ethereum-Blockchains die größten sind) gleich viel Energie wie Argentinien verbrauchen. Das liegt an einem Mechanismus namens Proof-of-Work. Ethereum (die Blockchain, auf der die meisten NFTs gespeichert sind) hat bereits vor Jahren erklärt, dass sie auf die umweltfreundlichere Proof-of-Stake-Technologie umsteigen wollen, aber es ist immer noch nicht klar, wann und ob dies geschehen wird. Ich frage mich auch, ob diese Änderung im Interess all der Leute ist, die viel Geld in den Kauf von Infrastruktur zum Mining von Kryptowährungen investiert haben.

 

Der Kunstmarkt

Der Kunstmarkt hat sich in den letzten fünfzehn Jahren zu einem sehr wichtigen Investitionsort entwickelt. Kunst wird mehr und mehr zu einem Investitionsobjekt, bei dem durch den Wiederverkauf von Kunst einen Gewinn erwirtschaftet werden soll. Das Erzielen enormer Gewinne durch das Kaufen von Werken junger Künstler:innen und der spätere Weiterverkauf ihrer Werke, wenn sich Karriere der Kunstschaffenden weiterentwickelt hat, begann in den frühen 1970er Jahren. Seitdem sind die Preise explodiert. In den 1970er Jahren waren es vor allem neureiche Geschäftsleute, welche diese Investitionsmöglichkeit wahrnahmen. Deren Sammlung zeitgenössischer Kunst war oft verpönt bei Leuten, deren Familien seit Generationen ein Vermögen besaßen. Es gibt hier eine Parallele zur aktuellen Entwicklung mit NFT-Kunst, wo hauptsächlich junge Leute aktiv sind, die ihr Geld durch den Handel mit Kryptowährung verdient haben. Ihnen stehen die “traditionelle” Kunstschaffenden und Sammler:innen gegenüber, die dem ganzen relativ skeptisch begegnen.

Der Kunstmarkt ist sehr exklusiv, was es vielen Künstler:innen schwer macht, überhaupt einen Weg hinein zu finden. Der Zugang zu NFT-Marktplätzen ist hingegen scheinbar “demokratischer”, da jeder seine Kunst dort hochladen und verkaufen kann. Außerdem ist der traditionelle Kunstmarkt für digitale Kunst nicht sehr groß und präsent, da immer noch hauptsächlich Malerei und Skulpturen verkauft werden. NFTs hingegen sind ausschließlich digital, was mehr Aufmerksamkeit auf digitale Künstler:innen lenkt, die von der Kunstwelt sehr lange übersehen wurden.

Es gibt zwei Dinge, die für den Kunstmarkt sehr wichtig sind: Authentizität und Provenienz. Authentizität stellt sicher, dass ein Werk keine Fälschung ist. Provenienz bedeutet die Nachvollziehbarkeit aller Hände, durch die ein Kunstwerk gegangen ist – also Galerien, die es verkauft haben und Sammler:innen, die es besessen haben. Je prestigeträchtiger oder interessanter die Sammler:innen sind (z.B. wenn ein Werk ein Geschenk an den Geliebten der Künstlerin war), desto wertvoller ist das betreffende Werk. Die Provenienz hilft auch zu verstehen, ob ein Werk authentisch ist oder nicht, denn die Aufzeichnungen der Provenienz des Kunstwerks logischerweise auch gefälscht sein müssen, wenn ein gefälschtes Kunstwerk verkauft wird. Die Unveränderlichkeit der Blockchain macht die Provenienz eines NFTs fälschungssicher, was das alte Problem des Kunstmarktes löst, die Provenienz und Authenzität eines Kunstwerks untersuchen zu müssen. Wenn jede:r Künstler:in ihre:seine Kunstwerke in einer Blockchain protokolliert, dann wird die Authentifizierung von Kunstwerken in Zukunft nicht mehr so schwierig sein.

Aber das hängt auch von der finanziellen Möglichkeiten der Kunstschaffenden ab: jemand mit einem kleinen Budget ist vielleicht nicht so erpicht darauf, Geld für die Erstellung von NFTs auszugeben. Außerdem gibt es derzeit ein recht großes Problem mit Leuten, die NFTs von Kunstwerken erstellen, die sie nicht selbst geschaffen haben.

 

Disaster Girl, NFT

Digitale Kultur

Viele der NFTs, die für sehr hohe Preise verkauft wurden, wie z. B. Disaster Girl (siehe Bild oben) oder Nyan Cat, sind wichtige Teile der digitalen Kultur. Es gibt eine große Anzahl von vorwiegend jungen Menschen, die eine emotionale Verbindung zu diesen Bildern haben, da diese Teil der Kultur sind, mit der sie aufgewachsen sind. Hier wird sehr deutlich, warum diese NFTs so hohe Preise erzielen, denn sie werden vor allem von Personen gekauft, die auf einem anderen Feld der digitalen Kultur, der Kryptowährungen, ihr Geld verdient haben. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass NFTs den gesamten Kunstmarkt übernehmen werden. Aber sie werden mit Sicherheit bestehen bleiben, vor allem wegen ihrer Fähigkeit, digitale Kultur mit monetären Werten zu verbinden.

Gerade jetzt, wo sich der Staub der ersten Aufregung legt, gibt es Raum, die Vorteile und Versprechen dieser Technologie neu zu bewerten. Für digitale Künstler:innen sind sie eine sehr interessante Möglichkeit Kunst zu verkaufen. Aber ich denke auch, dass viele, die dem ersten Hype gefolgt sind, jetzt zugeben müssen, dass es nicht so einfach ist, Kunst auf diese Weise zu verkaufen, wie es sich zunächst anhörte. Denn es ist immer noch eine Menge Arbeit mit dem Verkauf von Kunst verbunden, vor allem im Bereich des Marketing über Social-Media-Plattformen, die von den Künstler:innen selber übernommen werden muss – im Gegensatz zum traditionellen Kunstmarkt, wo Marketing und die Pflege der Beziehungen zu Sammler:innen von der Galerie übernommen wird.

NFTs are a very complex topic and their impacts are hard to grasp. I guess only time will tell in what way they will become a part of the whole system that is the art market. NFTs navigate a complicated space between many highly complex systems and are thus difficult to understand, as a certain amount of knowledge in multiple fields is well advised. Many questions are open, but what we do know, is a lot of flags are pointing in rather murky waters.

NFTs sind ein sehr komplexes Thema und ihre Auswirkungen sind schwer zu fassen. Ich schätze, erst die Zeit wird zeigen, in welcher Weise sie ein Teil des gesamten Kunstmarkt-Systems werden. NFTs bewegen sich in einem komplizierten Raum zwischen vielen hochkomplexen Systemen und sind daher schwer zu verstehen. Viele Fragen sind offen, und wir wissen erst, dass vieles in ziemlich trübe Gewässer zeigt.

Julia Schicker ist Künstlerin und Informatikerin, sie lebt gegenwärtig in Zürich und Brüssel, wo sie ihren Master of Fine Arts macht. www.juliaschicker.ch

 

Zur Vertiefung

Kunstmarkt

Film: Nathaniel Kahn: The Price of Everything, 2018. http://www.thepriceofeverything.com/

Buch: Hito Steyerl: Duty Free Art: Kunst in Zeiten des globalen Bürgerkriegs, Diaphanes, 2019

Gespräch zwischen Autor Dean Kissick und dem Gründer des NFT Marktplaz Zora, Dee Goens: https://www.dazeddigital.com/art-photography/article/52495/1/listen-podcast-exploring-nfts-with-dee-goens-and-dean-kissick-digital-art-future

Marktanalyse:
https://thatkimparker.medium.com/most-artists-are-not-making-money-off-nfts-and-here-are-some-graphs-to-prove-it-c65718d4a1b8
https://news.artnet.com/market/think-artists-are-getting-rich-off-nfts-think-again-1962752

Preiszerfall:
https://www.artforum.com/news/after-strong-start-nft-prices-sink-by-70-percent-85463?fbclid=IwAR2GdfMd1OM1g6GMPW9FR-71qxxyX0yLNtx1OS9CPA37z19jvU1OeFGYcvI


Kunsthistorische Perspektive

Tina Rivers: TOKEN GESTURE, Artforum, May 2021. https://www.artforum.com/print/202105/token-gesture-85475
Geschichte des Verkaufs digitaler Kunst vor NFTs: https://rhizome.org/editorial/2021/mar/12/before-the-boom/
Die NFT-Sammlung des ZKM: https://zkm.de/de/ausstellung/2021/04/cryptoart


Kritik

Betrug:
https://davidgerard.co.uk/blockchain/2021/03/11/nfts-crypto-grifters-try-to-scam-artists-again/
https://www.vice.com/en/article/n7vxe7/people-are-stealing-art-and-turning-it-into-nfts
https://networkcultures.org/moneylab/2021/03/03/remarks-on-crypto-art-by-rosa-menkman/

Cryptoart.wft: http://cryptoart.wtf/


Krypto-Wirtschaft

Ethereum Decentralised Finance Report Q1 2021: https://consensys.net/reports/defi-report-q1-2021/

Ethereum Erklärung NFTs: https://ethereum.org/en/nft/

Proof of Work vs Proof of Stake: https://hackernoon.com/consensus-mechanisms-explained-pow-vs-pos-89951c66ae10


Digitale Kultur

Podcast mit Beeple und Jordan Wolfson zum Unterschied zwischen Kunst und NFT: https://open.spotify.com/episode/7q7CYwmcstgzffSTRGQZmt?si=4zxml1ogQ5CT7zIhkJR61Q


Spass

Saturday Night Live zu NFTs: https://www.youtube.com/watch?v=mrNOYudaMAc
Beeple Generator: http://beeplegenerator.com/


Berühmte NFTs

CryptoPunks: https://opensea.io/assets/cryptopunks
CryptoKitties: https://opensea.io/assets/cryptokitties
Grimes: https://niftygateway.com/collections/warnymphvolume1
Auktion CryptoPunks: https://techcrunch.com/2021/05/11/cryptopunks-nft-bundle-goes-for-17-million-in-christies-auction/


Markt-Plattformen

Ethereum (hoher Energieverbrauch):
https://superrare.co/
https://rarible.com/
https://opensea.io/
https://makersplace.com/
https://foundation.app/
https://niftygateway.com/
https://blockchain.art/
https://portion.io/
https://mintable.app/
https://www.mintbase.io/
https://cargo.build/

Tezos (niedrigerer Energieverbrauch):
https://hicetnunc.xyz/
https://kalamint.io