Interview mit Künstlerinnen-duo: Operator

Das Künstlerinnen-Duo Operator spricht mit Isabella Maund vom HEK über die Abwesenheit des Körpers in der Blockchain-Kunst, ihren Jubiläumstrip zur Vulkaninsel Pantelleria und die Transformation von Bewegungen in unbewegte Bilder.

Ania Catherine und Dejha Ti sind ein unter dem Namen Operator bekanntes Künstlerinnenduo. Ihre künstlerische Zusammenarbeit, die sich in Form erlebnisbasierter Inszenierungen manifestiert und bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, begann 2016. Die neue Arbeit der beiden, Human Unreadable, ist derzeit im Rahmen der Ausstellung «Exploring the Decentralized Web – Kunst auf der Blockchain» zu sehen, die noch bis zum 12. November 2023 im HEK besucht werden kann. Human Unreadable ist ein On-Chain-Kunstwerk in drei Akten, das auf realen Körperaktionen basiert und zum Genre der Long-Form Generative Art gehört. Operator entwickelte dafür zunächst eine Methode, Choreografien auf der Blockchain zu generieren, und verwandelte die Bewegungsdaten der Tänze in einem nächsten Schritt in Bilder. Diese wurden als NFTs auf der Plattform Art Blocks zum Kauf angeboten. Die ersten 100 Sammler:innen der Serie können ihre Ankäufe auf der Website des Operator-Duos registrieren und so automatisch ein zweites Token generieren – die Choreografie, die dann als Live-Performance aufgeführt wird. Human Unreadable bringt den Körper in die Blockchain-Kunst und Blockchain-Kunst in den Körper. Neben Einblicken in den technischen Prozess und einem Beispiel einer Originalchoreografie präsentiert die aktuelle Installation im HEK auch Videos der 32 Bewegungen, auf denen die Choreografien von Human Unreadable basieren, und nicht zuletzt drei der visuellen Ergebnisse als grossformatige Ausdrucke.

Isabella Maund: Wer verbirgt sich hinter dem Namen Operator, und welche Geschichte verbindet sich mit diesem Namen?

Ania Catherine: Überraschend wenige Leute fragen, woher unser Name kommt, insofern ist ein wirkliches Vergnügen, damit anzufangen. Viel von dem, was unsere Arbeit und Identität als Operator beeinflusst, ist von unseren jeweiligen Vorgeschichten geprägt. Dejhas Spezialgebiet sind Interaktionen zwischen Mensch und Computer; sie ist Technologin und hat Multimedia studiert. Seit mehr als 15 Jahren realisiert sie immersive Installationen und interaktive Arbeiten, ein Mix aus Konzeptkunst und innovativen Interfaces, bei denen Computer oft physisch zum Einsatz kommen. Das war ihr “Sweet Spot”, bevor wir uns kennenlernten. Ich habe einen Background in Choreografie und Performancekunst. Als Kind erhielt ich Tanzunterricht, wobei ich es später allerdings zunehmend problematisch fand, mich innerhalb dieses festgesteckten Rahmens zu bewegen; Tanz kann ziemlich konservativ und einengend sein. Also erweiterte ich meine Praxis und setzte den Körper allgemeiner als Medium ein, um Konzeptkunst zu produzieren, hauptsächlich Performancekunst, auf Bewegungen basierte Filme und ortsbezogene Improvisationen. Dann begannen Dejha und ich zusammenzuarbeiten und all diese Elemente zusammenzuführen: Interaktionen von Menschen und Computern, Performances, Konzeptkunst und immersive Inszenierungen.

Dieses Foto entstand 1915 in Anamosa, Iowa. Es zeigt Operatorinnen in der Schaltzentrale der Weiss Collection bei der Vermittlung von Telefongesprächen. Abbildung Courtesy Wikimedia Commons, Schenkung der Anamosa Library and Learning Center.

IM: Das ist ein interessanter Mix: Es gibt diverse Überschneidungen, aber in vielerlei Hinsicht sind eure Hintergrundgeschichten auch sehr unterschiedlich.

Dejha Ti: Um zu erklären, wie wir bei dem Wort und dem Konzept Operator angekommen sind, bieten sich ein paar Einstiegspunkte an. Zum einen ist da unsere Faszination mit den frühen Telefon-Operatorinnen, den Bildern, die die Frauen beim Bedienen dieser riesigen Maschinen zeigen. Sie sitzen alle in Reih und Glied nebeneinander und ihre synchron ablaufenden Bewegungen wirken, als hätten sie eine Choreografie einstudiert. Mit ihren Fähigkeiten haben sie eine sehr spezielle Nische ausgefüllt, wobei sie die Gesellschaft buchstäblich miteinander in Verbindung brachten. Die Darstellungen dieser frühen Telefon-Operatorinnen sind so ungemein stark und ästhetisch ansprechend. Sie rufen uns in Erinnerung, welche Rolle Frauen, historisch gesehen, bei der Entwicklung innovativer Technologien spielten. Trotzdem ist ein Misstrauen gegenüber Frauen in technologischen Berufen bis heute geblieben, und noch immer hält sich diese Idee, dass Frauen und Technologie nicht zusammenpassen. Tatsächlich aber diente das Wort Computer ursprünglich zur Beschreibung von Frauen, die an einem solchen arbeiteten. Der Begriff „Operator“ schlägt also den Bogen zu jenen frühen Tagen, als Frauen und Technologie nicht als unvereinbarer Gegensatz galten. Ob wir uns nun die frühen Tage des Programmierens ins Gedächtnis rufen, als Frauen buchstäblich die ersten Computer verkörperten, oder die Geschichte von Grace Hopper betrachten, die den „Man of the Year Award“ für Informatik erhielt (ja, richtig, eine Frau wurde als „Mann des Jahres“ ausgezeichnet), oder jemanden wie Hedy Lamarr, die das Frequency Hopping (Frequenzsprungverfahren) entwickelte, auf das unser heutiges Wi-Fi gegründet ist – Frauen waren immer in innovative Technologien involviert und haben unverzichtbare Beiträge geleistet. Leider müssen die Leute immer noch daran erinnert werden. Ein anderer Aspekt, auf den sich der Name bezieht, ist, dass unsere Arbeiten oft buchstäblich bedient werden müssen, sodass in der Tat Operator:innen nötig sind. Ich bin mir nicht sicher, wie oft du während der Installation von Human Unreadable im HEK vor Ort warst, aber ich denke, der Aufbau war ohne Frage eine wahrhafte „Operation“.

Captain Grace Hopper, ca. 1975. Schenkung von Grace Hopper.

IM: Ich habe einiges vom Aufbau mitbekommen, beispielsweise wie Dejha die grafischen Darstellungen an die Wände gezeichnet und die Dokumentation und die diversen anderen Elemente angebracht hat. Es war definitiv sehr komplex. Ein wichtiger Fokus der Arbeit und auch der Privacy Collection allgemein ist der Gedanke, den Körper und die Blockchain-Technologie zusammenzubringen. Woher stammt diese Idee, und wo, glaubt ihr, fehlt der Körper in der Blockchain-Technologie?

AC: Das ist eine wirklich gute Frage. Unsere Arbeit kann sich manchmal sehr technisch gestalten, aber im Zentrum steht immer der Mensch. Ich erinnere mich, dass ich anfangs durch viele Plattformen gescrollt habe, und die Frage, die sich mir – als Choreografin, Performancekünstlerin und als Person, die permanent über den Körper nachdenkt ­– immer wieder stellte, war: Wo ist der menschliche Körper? Ich war wirklich schockiert, auf einer Plattform durch 10 oder 20 Seiten zu scrollen und dabei kein einziges Mal eine menschliche Form zu sehen. Und was mir in den Sinn kam, war zweierlei: nämlich erstens, wie überraschend dieses Fehlen war, und zweitens, dass wir wirklich versuchen sollten, den Körper auf bedeutungsvolle Art in diese Welt einzubringen. Nur weil der technologische Fortschritt so rasante Entwicklungen durchläuft und mehr und mehr unserer Aufmerksamkeit beansprucht, sind unsere physischen Realitäten, sei es der menschliche Körper oder der Planet Erde, nicht weniger real. Wir existieren nach wie vor in körperlicher Gestalt, wir sehen noch immer mit unseren Augen aus Fleisch und Blut, wir tippen immer noch mit unseren Fingern auf der Tastatur und tun dies noch immer im Sitzen und legen uns dabei eine schlechte Körperhaltung zu. Es war ein untrügliches Gefühl, den Körper keinesfalls vergessen zu dürfen. Uns war klar, dass wir uns weiterhin mit der Frage der Privatheit beschäftigen wollten, einem Thema, das in Verbindung mit Blockchain-Technologien ganz neue Bedeutung bekommt. Doch parallel dazu, während wir in der Privacy Collection das Thema Privatheit untersuchten, wollten wir das Bewusstsein auch erneut auf den Körper lenken.

IM: Inwiefern spielt Privatheit in Human Unreadable eine Rolle?

DT: Alle, die sich für die Blockchain aussprechen, führen Qualitäten wie Transparenz, Zurechenbarkeit und Unveränderlichkeit ins Feld, die zentralen Merkmale der Blockchain. Ob wir uns nun aber das Web2 oder Web3 anschauen, Tatsache ist, dass Personen selektiv Teile von sich selbst mit anderen online teilen. Wir sind immer damit beschäftigt zu kuratieren und auszuwählen, was von uns selbst wir öffentlich machen und was wir verborgen halten wollen. In Human Unreadable wie auch in jeder anderen Komponente der Privacy Collection untersuchen wir die Spannung zwischen Privatheit und Transparenz in der Blockchain-Technologie, und die Frage, die uns dabei vor allem interessiert, lautet: Wie stellen es Menschen an, sich innerhalb von transparenten Systemen zu verstecken?

IM: Human Unreadable, so wie es verstanden habe, war technisch äusserst anspruchsvoll, und es gab eine Menge speziell entwickelter Komponenten, die mit p5js funktionieren. Bei einer technisch so komplexen Arbeit, welche Überlegungen waren für euch im Kontext des Ausstellens wichtig?

AC: Es war eine riesige Herausforderung für uns, aber eben auch die Art Herausforderung, die wir lieben. Im Hintergrund laufen viele Prozesse ab, massenhaft Informationen, die potenziell alle Teil einer Präsentation werden können. Wenn wir also vor der Entscheidung stehen, wie wir die Arbeit ausstellen wollen, überlegen wir jedes Mal, wer die Betrachter:innen sind, wo ihr Interesse liegt und wie tief ihr Verständnis von blockchainbasierter oder generativer On-Chain-Kunst sein mag. Obwohl die ausgedruckten Kunstwerke, die zu Human Unreadable gehören, im Prinzip auch allein gezeigt werden könnten, halten wir es für wichtig hervorzuheben, wie involviert der menschliche Körper während des gesamten Prozesses ist. Er ist kein dekoratives Element oder nur ein Motiv in den Arbeiten, sondern er ist gleichzeitig auch das Medium. Ein Grossteil der digitalen / generativen Kunst, die ernstgenommen wird, erscheint eher kalt und erinnert nicht selten an das Design der Moderne. In der Frühzeit der Digitalkunst gab es Frauen, die stärker an körperbasierten Untersuchungen der Technologie interessiert waren, doch deren Arbeiten haben die Zeit in Hinblick auf Wert oder Anerkennung nicht so gut überdauert, vergleicht man sie mit den glatteren, geometrischen, körperlosen Formen der generativen Kunst, die die Kunstgeschichte und heute auch den Markt dominieren. Mit Human Unreadable wollten wir das Gegenteil erreichen, nämlich alle Regeln brechen und trotzdem ein Markterfolg sein – und damit den Beweis erbringen, dass ein Wert mit Qualitäten verbunden sein kann, vor denen die Leute womöglich zurückscheuen oder denken könnten, diese Art Merkmale seien mit digitaler oder generativer Kunst nicht vereinbar. Wir hingegen machen uns für das Chaos stark: Wir heissen den weiblichen Körper, Emotionen, Wärme, Verletzlichkeit, sinnliches Empfinden und Irrationalität als Komponenten in On-Chain-Formaten der Long-Form Generative Art willkommen.

IM: Würdet Ihr also sagen, dass die begleitende Dokumentation des Prozesses immer ein Teil der Präsentation sein wird, wenn Human Unreadable in Ausstellungen zu sehen ist?

DT: Ich denke, dass es weiterhilft. Denn würde man einfach nur die drei Ausdrucke zeigen, könnten die Leute leicht auf die Idee kommen zu fragen, warum das Blockchain-Kunst sein soll. Genauso gut könnte es sich einfach um Collagen handeln. Seit dem Erscheinen haben wir mit verschiedenen Personengruppen gesprochen und erkannt, dass es für ein Publikum wirklich hilfreich sein kann, sich durch die verschiedenen Stufen führen zu lassen, und visuelle Darstellungen können nützlich sein, wenn es darum geht, die Funktionsweisen der diversen technischen Prozesse zu begreifen. Wir wollen vermeiden, dass Besucher:innen das Gefühl bekommen, die Arbeit sei nicht „für sie gemacht“, nur weil sie sie nicht im Detail verstehen. Im HEK beispielsweise haben wir aus diesem Grund erlebnisbasierte Touchpoints entwickelt. So kann das Publikum mit analogen/physischen Mitteln einen Einblick bekommen, welche Bezüge zwischen einer Performance, einem Wanddiagram, den Choreografie-Karten und den gedruckten Kunstwerken bestehen.

AC: Da es sich bei der Ausstellung im HEK um eine Präsentation von Blockchain-Kunst handelt, lag uns wirklich daran, den Leuten bewusst zu machen, wie Bewegungen, die visuellen Kunstwerke an der Wand und die Blockchain ineinandergreifen und die gesamte Arbeit zu dem machen, was sie ist.

IM: Wie seid ihr bei der Transformation der choreografierten Bewegungen in die unbewegte visuelle Form eines Bildes vorgegangen?

DT: Dazu gibt es eine lustige Geschichte. Letztes Jahr, sehr früh im Entwicklungsprozess, unterhielten wir uns mit jemandem über Human Unreadable, und es kam der Kommentar: „Also werden es Arbeiten in Bewegung sein?“ Und wir beiden sagten wie aus einem Munde, „Nein, Bewegungen wird es nicht geben“ – was unseren Gesprächspartner etwas zu verwirren schien. Tatsächlich hatten wir untereinander nie wirklich diskutiert, ob wir Bewegtbilder oder Stills produzieren würden, aber wie sich zeigte, waren wir beide stillschweigend davon ausgegangen, dass es Einzelbilder sein würden und keine bewegten Sequenzen. Ich schätze, wenn man bedenkt, dass es in der Arbeit um menschliche Bewegungen geht, ist das eher kontraintuitiv, aber wir waren uns beide sicher, den richtigen Weg gewählt zu haben.

AC: Bewegen wir uns nun im Schnelldurchlauf ein Jahr weiter. Vor einigen Monaten haben wir anlässlich unseres Jahrestages eine Reise nach Sizilien unternommen, und da uns Vulkane ungemein faszinieren, statteten wir dieser Vulkaninsel namens Pantelleria einen Besuch ab. … Ich verspreche übrigens, dass das, was ich erzähle, von Relevanz ist… Wir gingen also an diesen Strand aus Vulkangestein; auf der gesamten Insel ist kein Sandstrand zu finden. Und in einem Strandabschnitt waren diese Linien zu sehen, die in den Ozean führten. Die Felsformationen bildeten die Bewegung fliessender Lava ab, so als ob der Moment in der Zeit gefroren war. Unsere Reaktion war unisono: „Oh, wow, das ist Bewegung, die in einem Still verborgen ist!“ Es war etwas Abwesendes, das auf eine Anwesenheit hinweist, wobei man nicht die Bewegung selbst sieht, sondern das Resultat der Bewegung, die zuvor vonstatten gegangen war. Das entsprach genau dem, was wir in Human Unreadable zum Ausdruck bringen wollten. Es geht um die in der visuellen Darstellung verborgene Bewegung, das menschliche Chaos, menschliche Bewegungen, menschliche Gefühle und die uns Menschen eigene Unordnung – etwas, das vorhanden ist und doch vor aller Augen versteckt.

Detail einer Felsformation vulkanischen Ursprungs, Pantelleria, Sizilien, 2023. Foto Courtesy: Operator

IM: Jetzt, wo du es sagst, sehe ich es auch, diese Art erstarrte Bewegung in der Landschaft existiert überall um uns herum, am offensichtlichsten hier in den Schweizer Bergen. Ich danke euch, dass ihr diesen Gedanken mit uns teilt; das ist eine so wunderschöne Art und Weise, die Arbeit zu kontextualisieren. Das mit dem Menschlichen verbundene Chaos ist ein Thema, das mich an euer Interview im Right Click Save-Magazin erinnert. Darin erwähnt ihr, dass Verletzlichkeit ein Thema in Human Unreadable ist. Könnt ihr uns mehr darüber erzählen?

AC: Die gesamte Privacy Collection ist ortsspezifisch, und wenn Leute das hören, denken sie zumeist an einen Raum oder einen physischen Ort, aber es gibt auch so etwas wie kulturelle Ortsspezifität. Jede Komponente der Privacy Collection ist eine Antwort, ein Spiegel oder unsere Version von etwas, das entscheidend für die Entwicklung der Krypto-Kunst war oder in der Krypto-Szene allgemein beliebt ist. Es ist definitiv so, dass On-Chain-Formate der Long-Form Generative Art den Markt für Krypto-Kunst dominieren. Die Frage, die sich daher für uns stellte, war: Wie können wir im Rahmen dieses rigiden Formats mit all den Regeln, Normen und ästhetischen Erwartungen arbeiten, um es von innen heraus zu sabotieren?

Mit Blick auf Privatheit überlegten wir, wie freigiebig mit dem Wort „reveal“ (enthüllen, offenlegen, preisgeben) umgegangen wird. Alle benutzen es ständig, etwa um zu sagen: „I revealed my piece“ (Ich habe mein Kunstwerk enthüllt). Auf Plattformen klickt man auf „reveal“, will man das Werk sehen, dass man gemintet hat. Für uns bedeutete „etwas enthüllen“ aber auch, dass es vorher den Blicken entzogen sein musste. Wenn man etwas enthüllt, muss es einen Punkt gegeben haben, an dem man nicht wollte, dass das Ding sichtbar ist. Die Frage war nun, welches Risiko mit der Enthüllung verbunden sein könnte. Und als Antwort fiel uns Verletzlichkeit ein. Was aber kann riskant daran sein, wenn ich ein rotes Quadrat habe, du ein blaues und er ein grünes Quadrat, wo kommt hier die Verletzlichkeit ins Spiel? Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie eine besonders grosse Rolle spielte, trotz der befrachteten Sprache, der Verwendung des Begriffs „Enthüllung“, der implizit auf ein „Verbergen“ hinweist. Verletzlichkeit war demzufolge etwas, das wir als fehlend identifizierten.

DT: Wir entschieden uns daraufhin, den Aspekt Verletzlichkeit zum Teil des Konzepts zu machen und in Human Unreadable einzubringen, und zwar wollten wir es so gestalten, dass Leute aktiv danach suchen. Ich habe in der Library jede Bewegung auf einer Skala von 1 bis 5 eingestuft – von „not vulnerable“ (nicht verletzlich) bis „the most vulnerable“ (extrem verletzlich).  Wie sich zeigte, sind die verletzlichen Sequenzen in der Sammlung selten, was nicht im Design begründet ist, aber in der Tat ein schönes Ergebnis war. Etwas, das selten ist, gewinnt dadurch an Wert. In diesem Sinn könnte man beinahe sagen, wir haben mit dem Markt kooperiert, um die Wertschätzung eines Attributs wie Verletzlichkeit in der Long-Form Generative Art zu steigern.

IM: Inwiefern spielt Kontrolle im Kontext der Long-Form Generative Art eine Rolle?

AC: Kontrolle ist ein äusserst interessantes Thema: Die Frage, was wir kontrollieren und was nicht, wird allgemein viel debattiert. Es gibt einen grossartigen Künstler, 0xDEAFBEEF, der erst kürzlich darauf hingewiesen hat, dass Künstler:innen je die absolute Kontrolle hätten, sei eine weit verbreitete Annahme, in den meisten Fällen aber reine Illusion. Also, das Spektrum von kompletter Kontrolle bis hin zum absoluten Kontrollverlust kann trügerisch sein und ist in Wahrheit weitaus komplexer als die vielen Diskussionen über dieses Thema vermuten lassen.

DT: Zur Frage der Kontrolle: Ich würde nicht sagen, dass Verletzlichkeit unbedingt Kontrollverlust bedeutet. Ein so ungemein chaotisches, fleischlich und körperlich konkretes Werk zu produzieren, war eine technische weit grössere Herausforderung als etwas, das glatt und steril ausgesehen hätte. Ich denke, alles was in ein Kunstwerk einfliesst, hat riskant, real und vor allem aufrichtig zu sein. Das, was die Aussage der Arbeit ausmacht, muss ehrlich und ungeglättet sein, aber das zu erreichen ist eine wirkliche Gratwanderung. Wo für uns die Idee der Kontrolle ins Spiel kommt und es extrem wichtig wird, bewusst und strategisch zu denken und generell die zweite Gehirnhälfte einzuschalten, ist in der Ausführung. Als erlebnisbasierte Künstlerinnen verlassen wir uns auf zwei sehr unterschiedliche Zonen im Gehirn, die aufeinander abgestimmt und beide sehr aktiv sein müssen. Wir sind dafür bekannt, dass wir nicht leicht zufriedenzustellen sind und eine Menge Kontrolle ausüben, wenn es um die Produktion, Ausführung und Vermittlung unserer Arbeit geht. Wie bereits erwähnt, sind das im wahrsten Sinn „Operationen“ für uns, und schlecht durchgeführte Operationen können nie in gute Erfahrungen münden.

AC: Ich schätze, unser Ziel ist ein in hohem Masse kuratiertes, wohldurchdachtes, gut recherchiertes und kontrolliertes Paket mit einer rohen, ungebändigten Botschaft darin.

Human Unreadable, 2023, Operator, Installationsansicht im HEK im Rahmen der Ausstellung „Exploring the Decentralized Web – Kunst auf der Blockchain“. Foto: Franz Wamhof

IM: Wie, denkt ihr, sind Kontrolle und Dezentralisierung im Kontext der Blockchain-Kunstszene miteinander vereinbar?

AC: Ein riesiger Vorteil der Blockchain, der sich insbesondere auf Künstler:innen auswirkt, ist die Möglichkeit, Kunst zu sammeln, die früher nicht handelbar war, wie zum Beispiel textbasierte Arbeiten, Performances oder Digitalkunst. Die Limitierung und die Einführung von Besitzrechten im Digitalen sind ein enormer, nicht zu unterschätzender Schritt. Viele derzeit erfolgreiche Künstler:innen waren früher in der Werbebranche tätig, weil das der einzige Weg war, mit den Fähigkeiten, die sie besassen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mit der Entwicklung der Blockchain-Kunst hat sich das geändert, und jetzt findest du dich auf einmal in die Lage versetzt, mehr Kontrolle über die eigenen künstlerischen Produktionen zu haben und tatsächlich davon zu profitieren, und zwar während sie mit deinem Namen verbunden sind und nicht in Form einer Work-for-Hire-Dienstleistung.

In Human Unreadable werden die Choreografien, auf denen die Kunstwerke basieren, in einem zweiten, zeitlich nachgeordneten Token online enthüllt und öffentlich gemacht. Wir beschreiben den Körper gern als den allerersten dezentralisierten Speicher. Früher wurden Choreografien traditionell überliefert, indem sie von einer Person an andere weitergegeben wurden, die dann wiederum selbst zu Lehrenden wurden und es ihren Schüler:innen beibrachten. Die Choreografie überdauert in den Körpern. Sie ist im physischen Körpergedächtnis gespeichert. Wenn Choreografien nun online verfügbar gemacht werden, sind sie für alle und jede:n sichtbar. Sie sind Eigentum des:der jeweiligen Sammler:innen. Ihnen gehört der Bewegungsablauf und die Bewegungsdaten, die auf der Blockchain gespeichert sind. Für den:die Sammler:in heisst das: „Ich besitze diese Sequenz, also steht es mir frei, Tänzer:innen zu engagieren, sie den Bewegungsablauf in meinem Hausflur aufführen zu lassen und öffentlich kundzutun, dass dieses Werk mein Eigentum ist. Seht her, dieses so überaus coole Kunstwerk gehört mir.“ Auf der anderen Seite verbinden sich die Eigentümer:innenrechte hier mit dem Aspekt der Dezentralisierung. So hat jede:r die Möglichkeit, sich die Choreografie anzusehen und zu interpretieren, das Kunstwerk also ihrerseits umzusetzen. Alle Menschen auf der ganzen Welt können die Erfahrung machen, wie es ist, die Bewegungen im eigenen Körper zu spüren. Also, in gewisser Weise kommt in diesem Fall das Beste aus zwei Welten zusammen.

Screenshot von Ania Catherines Twitter/X

IM: Medien- und Digitalkunst war lange Zeit nicht ausreichend gewürdigt und im Kontext des Kunstmarktes unterbewertet, und ich denke, dasselbe lässt sich auch über Choreografie sagen. Wie war es für euch, gleich beide Genres in den Kunstmarkt zu bringen und im Zuge dessen mit neuem Wert auszustatten?

DT: Es ist ein enormer Schritt, und ich muss hinzufügen, es gab eine Zeit, wo wir uns beide fragten, wie wir überhaupt weitermachen können. Für die Art Arbeiten, wie ich sie machte und wie Anja sie machte, war der Kunstmarkt damals unerreichbar. Dann begannen wir mit unserer Zusammenarbeit, nur um festzustellen: „Super, jetzt haben wir diese wirklich kostspieligen künstlerischen Projekte, die riesige Teams erfordern und ewig lange dauern, bis sie fertig sind, weil sie bis ins Letzte recherchiert und streng konzeptuell und wir einfach etwas ganz Besonderes sind – und am Ende gibt es niemanden, der damit überhaupt Geld verdienen kann.“ Das war die Realität, mit der wir zurechtkommen mussten. Was die finanzielle Tragfähigkeit dieser künstlerischen Praxis anbelangt, war es einfach ein Albtraum. Dazu kam, dass wir in unserer Arbeit Themen wie Privatheit und Überwachung ansprachen, und die Firmen, die üblicherweise antreten und für kostspielige grossformative Digitalkunst bezahlen, etwa Google, nichts mit uns zu tun haben wollten. Denn wir produzierten Arbeiten, die sie kritisch hinterfragten. Dann aber trat etwas ein, womit wir nie gerechnet hätten: Auf einmal finden wir uns in einer Position wieder, wo unsere künstlerische Arbeit finanzielle Erträge abwirft. Wo wir also Überlegungen anstellen, wie wir dem, was wir tun, treu bleiben können, während wir zugleich Blockchain-Technologien integrieren und aus Choreografien und Performances buchstäblich Kapital schlagen können. Um ehrlich zu sein, wäre es nicht so gekommen, dann hätten Ania und ich vermutlich aufhören müssen, Kunst zu machen. Interessant ist auch, wie die finanzielle Anerkennung und die Bestätigung seitens des Marktes uns nun tatsächlich alle erdenklichen Türen in der Welt der zeitgenössischen Kunst öffnen. Also, das war schon ein enormer Anschub für uns, jetzt in einer Position zu sein, nicht jede sich bietende, noch so aussichtslose Gelegenheit ergreifen zu müssen, nur weil wir verzweifelt versuchen, ein bestimmtes Projekt umzusetzen. So haben wir es früher erlebt, und es hat uns in ein paar Situationen gebracht, die wirklich problematisch und ausbeuterisch waren. Einfach weil wir nicht besonders viele Optionen hatten, unsere Ziele durchzusetzen. Nun ist es komplett ins Gegenteil gekippt, und das gibt uns ein gutes Gefühl.

Human Unreadable, 2023, Operator, Installationsansicht im HEK in „Exploring the Decentralized Web – Kunst auf der Blockchain“. Foto: Franz Wamhof

IM: Das ist grossartig. Und was steht bei Operator als Nächstes auf der Agenda?DT: In etwa einem Monat steht Human Unreadable Act II an, dann erscheint nämlich das zweite, nachgeordnete Token: die Choreografie. Das heisst, Sammler:innen können dann den individuellen Bewegungsablauf enthüllen, auf deren Basis ihr Kunstwerk entstanden ist. In der Installation im HEK gibt es prototypische Beispiele dieser Token in physischer Form zu sehen, die auf Acryl gedruckten Tanznotationen. Die Bewegungsnotationen sind dann für immer mit dem Kunstwerk der Sammler:innen in deren Wallet verbunden. Also, der Bogen, den die Arbeit schlägt, repräsentiert das allmähliche Zurückgewinnen des menschlichen Körpers. Den Anfang bildet das zuerst ausgegebene NFT, in dem er noch relativ unzugänglich ist. Im zweiten Akt bekommt man durch die Enthüllung der Notation eine flüchtige Ahnung der menschlichen Präsenz, und der dritte Akt sind dann schliesslich die Live-Performances, wobei die ersten 100 Sequenzen aus der Sammlung als abendfüllende Aufführung inszeniert werden. Wir sind darüber momentan mit mehreren Institutionen im Gespräch, und langsam geht der Prozess voran.

AC: Aus der Perspektive der Choreografie und Performancekunst betrachtet, ist es fantastisch, alle diese Sammler:innen zu haben, die anfangs vielleicht nur generative On-Chain-Kunst gesammelt oder sogar nur NFTs geflippt haben und es nun kaum erwarten können, eine Performance zu sehen, nur weil sie einen Teil der Choreografie besitzen. Dieses Maß an Begeisterung und gespannter Erwartung zu erleben, weil es Tanz zu sehen gibt – ganz besonders, wenn man bedenkt, dass das Überleben für unabhängige Künstler:innen im Bereich Tanz aufgrund knapper Fördermittel schwierig sein kann – ist eine ziemliche emotionale Sache und gibt mir eine Menge Hoffnung. Über Human Unreadable hinaus arbeiten wir derzeit an der nächsten Komponente der Privacy Collection, einem erlebnisbasierten Kunstwerk, aber mehr kann ich darüber im Moment noch nicht sagen. Wir haben ziemlich viel zu tun. Es stehen auch ein paar Termine an, bei denen wir eingeladen sind, über unsere Arbeit als Operator zu sprechen.

Vielen Dank an Ania Catherine und Dejha Ti von Operator, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns Einblicke in Ihre künstlerische Praxis und Arbeit Human Unreadable zu geben, die derzeit im HEK in der Ausstellung «Exploring the Decentralized Web – Kunst auf der Blockchain» zu sehen ist. Komm noch bis zum 12. November vorbei und erlebe Ihre Werke sowie eine Vielzahl anderer internationaler Künstler, die sich mit dem Medium Blockchain auseinandersetzen. Wir gratulieren Operator auch zum Gewinn des Lumen-Preises 2023 in der Kategorie Metaversal Generative Art!