Gastbeitrag von mcww (memeclassworldwide): one cool thing I’m learning (on the internet). Workshop Rückblick

Bildunterschrift: Erste Workshop-Session am HEK, mcww September 2024
Schon einmal tief in die YouTube-Nachtschule eingetaucht, um Wissen aufzusaugen, während der Rest der Welt schläft? memeclassworldwide (mcww) taucht in die Welt der Tutorials ein und erforscht, wie uns diese alltäglichen „How-Tos“ stärken oder einschränken können. Neugierig? Lies den vollständigen Blogbeitrag, um mehr zu erfahren!

Deine Augen sind kurz davor zuzufallen, während dein Gesicht von einem Bildschirm erleuchtet wird, der wie ein Geist in einem dunklen Raum schwebt.
Hier bist du, saugst Wissen auf wie ein Schwamm, während andere längst schlafen.
Nicht wegen Leistungsdruck – der würde eher frühes Aufstehen als nächtliches Scrollen bedeuten. Nein, du bist hier, weil der Austausch zwischen Wissenden und Wissbegierigen asynchron auf digitalen Kanälen stattfindet. Willkommen in der YouTube-Nachtschule!

Bildunterschrift: Screenshot, Common.Garden YouTube-Nachtschule-Dokumentation, mcww 2024

Tutorials schauen sich nicht nur Menschen an, die lernen, sondern auch diejenigen, die sich unterhalten lassen wollen oder Freude daran haben, wenn etwas scheitert. Ein „How-To“ muss nicht zwangsläufig erfolgreich sein. Tutorials sind allgegenwärtig: Sie erklären, wie Schuhe gebunden werden, der perfekte Lidstrich gezogen, ein Haus gebaut oder der Ex aus einem Foto entfernet wird. Doch obwohl Tutorials weit verbreitet sind, sehen wir sie und die Plattformen, auf denen sie publiziert werden, selten als Werkzeuge. Und wenn wir es tun, fragen wir uns oft nicht, ob uns diese Werkzeuge auch einschränken könnten. Der österreichische Sozialphilosoph Ivan Illich würde argumentieren, dass unsere Vorstellung von Werkzeugen durch industrielle Normen verzerrt ist. Diese Verzerrung hindert uns daran, „gute“ Werkzeuge – oder, wie Illich sie nennt, „konviviale“ Werkzeuge – zu erkennen. Ein Werkzeug ist dann konvivial, wenn es den Nutzenden Handlungsspielraum lässt und keine Abhängigkeit von Institutionen oder Monopolen schafft. Konviviale Werkzeuge fördern ausserdem Zusammenarbeit in Gemeinschaften.

Mit diesem Gedanken haben wir in unserem Workshop „One cool thing I’m learning (on the internet)“ Tutorials als digitale Wissensquelle kritisch unter die Lupe genommen. Der Workshop fand sowohl im HEK als auch online auf Discord statt. Die Teilnehmenden wurden eingeladen eigene Tutorials zu erstellen – in einer Form, die für ihre Community und Interessen relevant ist. Parallel dazu sammelten wir gemeinsam konviviale Werkzeuge sowie verschiedene Beispiele für Tutorials, denn Wissen lässt sich auf viele verschiedene Arten weitergeben: in Form von Listen, Kunstwerken, Hörbüchern, Archiven oder Bibliotheken.

 

Bildunterschrift: Screenshot Common.Garden Toolbox-Dokumentation und Foto aus dem Workshop, mcww 2024

Uns war es wichtig, über das übliche Video-Tutorial hinauszudenken. In Gruppendiskussionen haben wir untersucht, wie sich der Gedanke der Konvivialität auf unsere eigenen Projekte übertragen lässt. Dabei sind oft mehr Fragen als Antworten hervorgekommen – jedoch ist die Neugier geblieben.

Wenn du Lust hast, mit uns weiter zu entdecken: Unser Workshop-Material wächst im common.garden. Vielleicht hilfst du den Samen beim Gedeihen? Beim Erkunden unserer Gärten findest du Tutorials unserer grossartigen Teilnehmenden (Ben, Elena, Dja, Maddalena und Henrietta), PDFs mit unseren Kategorien, unsere Lieblings-Tutorials und -Tools. Ausserdem gibt es Ausschnitte aus einem Impulsvortrag von Bernhard Garnicnig, der in einer unserer Sessions gehalten wurde. Darin bezieht er sich auf Mary Douglas’ Buch How Institutions Think und zeigt auf, wie Tutorials, Werkzeuge und Institutionen zusammenhängen und wie sie beeinflussen, was gelernt, erinnert und vergessen wird.

Institutionen und ihre Werkzeuge werden oft „naturalisiert“, also als selbstverständlich und unumstösslich wahrgenommen. Sie scheinen so sicher wie der Sonnenaufgang.
Doch wie David Hume uns lehrt: Diese Sicherheit ist nur Schein. Alles könnte sich ändern. Was lange so war, muss nicht immer so bleiben. Warum also nicht diese Möglichkeit nutzen?

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Wer sind wir?
memeclassworldwide (mcww) ist ein kollektives Projekt der Künstler*innen Ramona Kortyka (sie/ihr), Jennifer Merlyn Scherler (they/them), Mateusz Dworczyk (er/ihm) und Juan Blanco (er/ihm). Unsere Arbeit begann ursprünglich als institutionenkritischer Meme-Account (mcww.memes, 2018–2022) und entwickelte sich 2019 zu einer autonomen Klasse für Internet-Praxis an der Kunsthochschule in Kiel (DE).

Das Internet dient uns als Raum, um postdigitale Phänomene und ihre ästhetischen, sozialen und politischen Dimensionen zu reflektieren. Wir schätzen selbstorganisierte kollektive Wissenspraktiken, bei denen Freude und Spass nicht zu kurz kommen.
Wir organisieren Workshops, halten Vorträge, schreiben Texte und machen Ausstellungen in unterschiedlichen Kontexten.