Digital Natives kommentieren «Born digital Art»

Bild: Man sieht zwei Hände, die mit Gabel und Messer eine Zitrone zerschneiden.
Candid, Christo Kitas, Ria Zutta, Randa Saeed, Filmstill, 2021.
Kunst kann spannend sein, irritieren, anregen und vieles mehr. Während einer online Projektwoche konnten Schüler*innen des Gymnasium Münchenstein sich mit Medienkunst auseinandersetzen und selber eigene Werke gestalten. Ein Gastbeitrag der Videokünstlerin Anuk Jovović.

Der Fokus der Projektwoche lag auf Netz- und Medienkunst, die sich kritisch mit digitalen Technologien und deren sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen auseinandersetzt –  «Born digital Art», also Kunst, die in digitalen Medien entstanden und auch inhaltlich verortet ist. Zusammen mit dem HeK Team habe ich die 2. Schwerpunktfachklasse Bildnerisches Gestalten bei der Auseinandersetzung mit Medienkunst online begleitet, Kunstwerke vorgestellt, Impulse gesetzt und bei der Umsetzung eigener Ideen unterstützt.

Für die junge Generation ist das Internet und der Zugriff darauf mittels Computer und Smartphone eine Selbstverständlichkeit. Die Erfahrungen, die im virtuellen Raum stattfinden, sind eng verknüpft mit ihrem physischen Alltag. Das Handy ist eine ständige Begleitung und Hilfsmittel in zahlreichen Situationen. Trotzdem gibt es unterschiedliche Verhaltensweisen im Netz und ausserhalb. Oft erscheint es uns, dass wir die Kontrolle darüber haben, was wir online preisgeben. Umso erstaunlicher ist es dann, wenn wir feststellen, wieviele zusätzliche Informationen zu uns im Internet auffindbar sind.

«Bilder von unseren besten Seiten vernetzen uns im Internet, doch es sind unsere imperfekten Seiten, welche uns in der Realität verbinden.» 

«Die Netzkunst hat uns aufgezeigt, wie viel wir im Internet über uns preisgeben, und dass Daten unterschiedlicher Quellen miteinander vernetz werden können.» Noëlle R., Lisa T.

Screentime, Anouk Vincent, Klara Davet, Laura Suter, Filmstill, 2021.

Startpunkt der Projektwoche waren Netz- und Medienkunstwerke aus der Sammlung des HeK sowie Arbeiten aus der vom HeK kuratierten digitalen Reihe «HeK Net Works». Die Klasse setzte sich intensiv mit den Werken auseinander, liess sich inspirieren und reagierte mit eigenen Arbeiten auf die Sammlung von «Born digital Art» des HeK – und zwar mit digitalen Mitteln: Fotografie, Film und 3D-Animation. Unter der Betreuung ihrer Lehrerin Sharon Bornstein und mir haben die Schüler*innen Kunstwerke geschaffen, die sich sehen lassen können.

«Die Digitalisierung hat während der Corona-Pandemie enorm an Prägnanz in unseren alltäglichen Leben zugenommen. Der Austausch mit Mitmenschen fand seither oft mehr online als in natura statt. Wo und wie liegen da die Chancen und Gefahren? Wie werden diese Themen in der Kunst reflektiert, und wie beziehen explizit Medienkünstler*innen dazu Stellung? Diesen Fragen gingen die Schüler und Schülerinnen während der einwöchigen Projektwoche nach.»  Sharon Bornstein, Fachlehrerin Bildnerisches Gestalten

Nach einem ersten Input von Patricia Huijnen (HeK Vermittlung) über die Institution und ausgewählte Werke, schlossen sich die Schüler*innen in sechs Gruppen zusammen. Sie wählten jeweils ein Kunstwerk aus, mit welchem sie sich in den folgenden Tagen befassten. Am zweiten Vormittag gab ich einen Input zur Vorgehensweise, zu technischen Möglichkeiten, inhaltlicher Entwicklung und künstlerischer Umsetzung von Video- und Fotokunst. Ich begleitete den Prozess inhaltlich und gab auch technische Unterstützung. Jede Gruppe hatte im Laufe der Wochen zwei Zwischenpräsentationen und Besprechungen mit mir und konnte mich bei dringenden Fragen auch zwischendurch kontaktieren. Während dem Arbeitsprozess hinterfragten und überprüften wir wiederholt, wie die zentrale Aussage der einzelnen Arbeiten am treffendsten vermittelt werden kann. In Gesprächen mit den einzelnen Gruppen eruierten wir, wo die Stärken und Schwächen der Arbeiten liegen und wie durch Auswahl, Reduktion und Präsentationsform das Potential des Materials herausgearbeitet werden kann.

«Ich finde es spannend, das kritische Denken kreativ aufzuzueigen und so andere Leute zum Nachdenken zu bringen.» Klara D.

«Das HeK-Team hat uns dabei geholfen, unsere Ideen besser umzusetzen.» Chatchai P., Ezgi C., Helen D.

«Im Laufe der Woche hat sich unsere Arbeit stark weiterentwickelt.» Sophie L., Vera L., Naïma M.

«Es war spannend, neue Design-Programme zu entdecken und mit ihnen zu arbeiten.» Anouk V., Laura S. & Klara D.

Zusätzliche Einblicke und den Austausch mit Professionellen aus dem Kunstbetrieb ermöglichten Gespräche mit dem Medienkünstler Marc Lee und Boris Magrini, dem Kurator des HeK. Im Künstlergespräch mit Marc Lee erhielt die Klasse Informationen zu seinem individuellen Werdegang: wie er zu seinem Künstlernamen fand und zu seinen Motivationen, Hürden und Erfolgen. Spannend war auch die Diskussion über die Anfänge des Internets, die Zugänglichkeit von Daten im Netz und der kreative Umgang damit. Einen weiteren Blickwinkel hat Boris Magrini mit dem Talk über seine kuratorische Arbeit eröffnet. Er konnte beantworten, wie eine Auswahl von Werken in eine Ausstellung kommt, welche kreativen Entscheidungen er treffen darf, wie er das Verhältnis von weiblichen und männlichen Künstler*innen einschätzt und wie er damit umgeht.

Die Auseinandersetzung mit Netz- und Medienkunst durch Schaffensprozesse und Blicke hinter die Kulisse weckte Interesse für die Medienkunst. Die eigene künstlerische Tätigkeit regte dazu an, sich auf einer inhaltlichen wie auch gestalterischen Ebene mit neuen Medien und Technologien zu beschäftigen. Sie vertiefte das Verständnis der Schüler*innen für diese Kunstform und förderte die Auseinandersetzung mit der digitalen Gegenwart.

«Netzkunst ist interessant, da sie oft sehr gesellschaftskritisch ist.» Anouk V.

Die Schulklasse befasste sich mit den Vor- und Nachteilen der Vernetzung, dem Sich-Verlieren im virtuellen Raum, der Nutzung von Apps im Alltag und der bewussten Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken.

«Es hat mich einerseits schockiert, wie unsicher unsere Daten im Internet sind, andererseits auch fasziniert, wie man daraus etwas Kreatives schaffen kann.» Laura S.

«Unsere persönlichen Erfahrungen mit dem Smartphone im Alltag hatten einen grossen Einfluss auf unsere Arbeit.» Anouk V., Laura S. & Klara D. über ihren Kurzfilm «Screen time»

Entstanden sind Fotoserien, Videos und eine digitale Animation, die am letzten Tag vor allen Teilnehmer*innen präsentiert und erläutert wurden.

Innerhalb kurzer Zeit konnten die Schüler*innen durch die eigene gestalterische Tätigkeit und das Kennenlernen von verschiedenen Perspektiven in Theorie und Praxis intensiv in die Welt der Medienkunst eintauchen und – wie es die Arbeiten und Zitate hier zeigen – wertvolle Erfahrungen sammeln.

«Das HeK-Team sollte mehr mit Schulklassen arbeiten: Kunstschüler hätten Freude an dieser Zusammenarbeit. Die Netzkunst wird in dieser Form zu wenig präsentiert.» Chatchai P., Ezgi C., Helen D.

Auch für mich war diese Projektwoche äusserst spannend und lehrreich. Online zu unterrichten brachte gewisse Vorteile wie beispielsweise die zeitliche Flexibilität im Ablauf. Je nach Bedarf konnten sich die entsprechenden Personen ein- und wieder ausloggen und die An- und Abreise fiel jeweils weg. Als Herausforderung habe ich den persönlichen Austausch mit den Schüler*innen empfunden. Für einen Input mit Präsentation ist es hilfreich, wenn alle einen eigenen Zugang zum Onlinemeeting haben, damit Fragen und Rückmeldungen spontan möglich und die Reaktionen der einzelnen Zuhörer*innen zu sehen sind. Mit kleineren Gruppen zu arbeiten erschien mir sinnvoll und produktiv.

Im Verlauf dieser Woche durfte ich die Perspektiven der jungen Generation auf digitale Kunst und ihren Umgang mit, bzw. ihre (selbst-)kritischen Gedanken zu der virtuellen Welt besser kennen lernen. Die Qualität der Arbeiten, die in kurzer Zeit entstanden sind, ist beeindruckend – dazu möchte ich den Schüler*innen ganz herzlich gratulieren!

Die Videokünstlerin Anuk Jovović lebt und arbeitet in Basel und München. www.anukjovovic.com

Das Projekt wurde unterstützt von: