Die Zauberhafte Quantenwelt mit Libby Heaney
Sabine Himmelsbach: Du hast für die Ausstellung den Titel «Quantum Soup» vorgeschlagen, den ich höchst faszinierend finde. Was bedeutet der Titel für dich und in welcher Beziehung steht er zu deiner künstlerischen Vision? Und welche Aspekte der Quantenwelten und -realitäten willst du in deiner Arbeit insbesondere vermitteln?
Libby Heaney: «Quantum Soup» (Quantensuppe) veranschaulicht das Konzept der Ursuppe, dieser diffusen Materie, die es am Anfang des Universums gab. Aus dieser uranfänglichen Mischung von Substanzen ist dann alles andere entstanden. Das Motiv ist in der gesamten Ausstellung erkennbar, eine schleimige Ästhetik, die alles durchdringt und die Idee einer Ursuppe evoziert. Wenn im Englischen etwas als «soupy» (suppig) bezeichnet wird, heißt das auch, dass es «neblig», also getrübt und unklar ist. Es ist diese Mischung aus Faszination und Unklarheit, die wohl auch das Gefühl beschreibt, das sich einstellt, wenn Menschen zum ersten Mal mit Quantenkonzepten konfrontiert werden. Was ist eigentlich Quanteninformatik? Welche Bedeutung hat diese neue Art der Informationsverarbeitung? Welche Chancen und Fallstricke sind damit verbunden?
SH: Mich fasziniert der Titel besonders in der deutschen Übersetzung, weil von uns zwar eine ungefähre Vorstellung von der Technologie erwartet wird, ohne dabei aber detaillierte Sachkenntnis vorauszusetzen. Wir werden motiviert, tiefer in das Universum vorzudringen, das du uns in «Quantum Soup» eröffnest. Wie spiegelt sich deine künstlerische Praxis in diesem Titel wider, und was haben Betrachter:innen beim Besuch der Ausstellung zu erwarten?
LH: Lass mich zunächst sagen, wie froh ich bin, mit dem HEK in Basel zusammenzuarbeiten, einem der führenden Institutionen im Bereich elektronischer Künste weltweit. Ich freue mich über die großartige Gelegenheit, meine Arbeiten aus den letzten zwei Jahren zu präsentieren und sie mit neuen Arbeiten zu neuen Konfigurationen zusammenstellen zu können. Die Besucher:innen erwarten ausgesprochen schöne, sinnliche, immersive Installationen, Virtual Reality-Arbeiten, doch auch jede Menge Schleim, der einerseits etwas Faszinierendes hat und andererseits Abscheu oder Ekel signalisiert. Das Publikum kann sich in die unsichtbaren Mechanismen der Quantentechnologie vertiefen und Einblicke in die Wissenschaft der Quanteninformatik erlangen. Allerdings ist mir wichtig klarzustellen, dass ich nicht primär darauf abziele, die wissenschaftliche Seite zu vermitteln. In meiner Arbeit betrachte ich nicht nur die reine Wissenschaft; für mich geht es vielmehr um die Frage, was es für uns bedeuten könnte, in dieser neuen technologischen Zukunft zu leben, in einer Gesellschaft vielleicht, die den Menschen über den Profit stellt.
SH: Das ist ein überaus wichtiger Aspekt der Ausstellung – dass sie ein Bildungsangebot macht und zugleich unser sinnliches Erleben anspricht und beides nahtlos miteinander verbindet. Es geht nicht nur darum, dass wir Informationen aufnehmen; wir sollen das Ganze vielmehr mit dem gesamten Körper wahrnehmen, es fühlen.
LH: Genau. Die Arbeiten haben eine ausgesprochen traumähnliche Qualität; sie sind wirklich magisch. Das Publikum ist zur physischen Auseinandersetzung mit den Werken, einer Wahrnehmung mit dem ganzen Körper eingeladen; die Ausstellung lässt sich intuitiv erleben. Ich finde es extrem wichtig, über eine rein verstandesmäßige Wahrnehmung hinauszugehen und stattdessen ein instinktives Erfassen zu ermöglichen, das der menschlichen Sinneswahrnehmung, der sinnlichen Begegnung mit einem Raum viel eher entspricht. Ich verwehre mich gegen die Vorstellung, dass wir nichts als Gehirne mit einem Smartphone sind. Und schlussendlich bleibt inmitten dieses komplexen Erlebnisses für unsere Sinne noch genügend Raum zum Lernen und für Entdeckungen.
SH: Du hast acht Jahre als Quantenphysikerin gearbeitet und bist jetzt professionelle Künstlerin. Du erwähnst deine Frustration mit der Arbeit als Quantenphysikerin und den Wunsch, deine Kreativität im Umgang mit Quantenkonzepten auszudrücken. Warum aber sollte sich unser Kunstpublikum gerade jetzt ernsthaft für das Phänomen Quanten interessieren, wo es zurzeit sowieso soviel Hype um diese neue Technologie gibt?
LH: Ich denke, die Faszination, die die Quantentechnologie und Quantenphysik ausüben, ist sehr fassettenreich. Auf der einen Seite ist da der Hype, wie du es nennst, mit Blick auf die Zukunft. Quantencomputer werden imstande sein, jede derzeit gebräuchliche Verschlüsselungstechnologie zu dechiffrieren. Sie werden wirklich komplexe Systeme simulieren und optimieren können, die ein digitaler Computer niemals verstehen könnte. Doch jenseits all ihrer nützlichen Anwendungsmöglichkeiten ist da die Magie der Quantenphysik an sich, und mithilfe von Quanten-Tools können wir diese Magie für uns erschließen. In meinen Augen gibt es da einen Unterschied zwischen der Quantentechnologie und beispielsweise KI, die im Rahmen binärer Systeme funktioniert. Während dies wiederum tatsächlich ein Gebiet ist, auf dem sich die Wissenschaft mit Magie verbindet. Quantentechnologie ist nichtbinär, queer und gestaltwandlerisch. All das kann uns behilflich sein, zu neuen Vorstellungen für die Zukunft zu gelangen und uns von dem profitorientierten kapitalistischen System abzuwenden, das unsere Gesellschaften derzeit dominiert. Dabei kommt der Kunst eine entscheidende Rolle zu – nicht nur als einfaches Instrument, sondern als komplexes Medium, mithilfe dessen wir Visionen über eine alternative Zukunft entwickeln können, und zwar frei von all den Zwängen, denen die Wissenschaft unterliegt.
SH: Ich verfolge deine künstlerische Praxis seit Jahren und war von Anfang an beeindruckt, wie es dir gelungen ist, eine derart faszinierende und einmalige künstlerische Sprache zu entwickeln, die sich von Quantenkonzepten wie Überlagerung oder Verschränkung inspirieren lässt. Du verfolgst einen ganz eigenen Ansatz, der wirklich einmalig ist. Kannst du etwas dazu sagen, wie sich diese Phänomene der Quantenmechanik in deiner Arbeit manifestieren?
LH: Ich habe mit den Quantencomputern gearbeitet, die IBM öffentlich zugänglich gemacht hat, und einen eigenen Quellcode geschrieben. Das hat mir geholfen, meine eigene Ästhetik zu entwickeln. Ich erforsche Phänomene wie Superposition und Verschränkung, wobei die erste die Fähigkeit eines Partikels ist, in mehreren einander widersprechenden Zuständen zugleich zu sein, und das zweite eine nicht örtlich verankerte, verteilte Korrelation zwischen Partikeln. Inspiriert von der Quantentheorie habe ich mein eigenes visuelles Vokabular entwickelt, Darstellungen von Schichtungen, Unschärfen und Störimpulsen, ähnlich dazu, was in Quantenprozessen auftreten kann. Solche von Natur aus mikroskopisch kleinen Ereignisse gehen jenseits unserer mit bloßem Auge erkennbaren Welt vor sich, was meinen Schöpfungen ein Gefühl der Fluidität und eine dynamische Kraft wie aus einer anderen Welt verleiht.
SH: Wir haben uns sehr gefreut, für diese Ausstellung auch einige neue Arbeiten zu produzieren. Zwei davon sind Glasobjekte. In welcher Beziehung siehst du die beiden zueinander, und welchen Stellenwert haben sie in deiner Arbeit insgesamt?
LH: Glas und Quanten weisen faszinierende Parallelen auf, insbesondere, was ihr temperaturabhängiges Verhalten anbelangt. Während Glas bei der entsprechenden Temperaturänderung vom Festzustand in den flüssigen übergeht, lassen Quantenpartikel, die auf extrem niedrige Temperaturen herabgekühlt werden, wellenähnliche Charakteristika erkennen. Beide durchlaufen eine Metamorphose, die die Grenze zwischen fest und flüssig verwischt. Bei Zimmertemperatur sind, oder erscheinen, beide fest. Werden sie jedoch Hitze oder extremer Kälte ausgesetzt, zeigen sie die Merkmale einer Flüssigkeit. Ich denke einfach, Glas hat etwas Magisches. Ich verbinde eine Vorstellung von Alchemie mit Glas, genau wie ich es auch in Bezug auf die Quantenphysik empfinde.
SH: Ein anderes Medium, das ein integraler Bestandteil deiner künstlerischen Praxis ist, ist das Aquarell, Farben also, die bekanntlich besonders fließend sind. Welchen Einfluss haben Aquarelle auf deine VR-Welten und Videoinstallationen?
LH: Ich begann 2019, Aquarelle zu malen, gerade zu der Zeit, als ich auch mit Quanteninformatik zu arbeiten begann, und für mich ging beides immer Hand in Hand. Wenn ich mit Aquarellfarben male, arbeite ich gern auf einem relativ nassen Grund. Wenn du die Farbe auf die nasse Fläche aufträgst, fängt sie sofort an zu verlaufen, sich wellenähnlich auszubreiten, und verhält sich damit ein bisschen wie ein Quantenpartikel, wie geschmolzenes Glas oder auch Schleim. Setzt man zwei Farben nebeneinander, beginnen sie ineinander zu verfließen; sie vermischen sich und verändern sich gegenseitig. Alle diese Materialien sind Metaphern für die Welt der Quanten, die für uns unerreichbar ist. Ihnen ist diese gewisse Fluidität zu eigen, mit der ich mich in der gesamten Ausstellung auseinandersetze – wobei ja sogar der Titel «Quantensuppe» auf eine ebensolche Qualität Bezug nimmt. Viele der Texturen in der 3D-Welt wurden von mir zunächst real von Hand gemalt, dann eingescannt und in die Arbeit integriert. In der Ausstellung sind zwei Aquarellmalereien zu sehen, die im Rahmen des Prozesses für meine VR-Arbeit Heartbreak and Magic entstanden sind. Auch in der VR-Arbeit finden sich Scans von Aquarellen, die von Hand gemalt und dann eingefügt wurden. Den Schmetterling, dem man darin folgen kann, habe ich von Hand gemalt. Meine Aquarellmalerei ist der Ausgangspunkt für viele meiner Arbeiten, daher bringe ich die Aquarelle jetzt auch immer mehr in den Ausstellungsraum ein.
SH: Es ist höchst bemerkenswert, wie du unterschiedliche Medien und Ansätze nahtlos miteinander verbindest, um eine zusammenhängende Erzählung in der Ausstellung zu erzeugen. Nun aber zu meiner letzten Frage: Was steht als Nächstes bei dir an? Woran bist du zurzeit interessiert?
LH: Ich habe mehrere Projekte in Planung, unter anderem geht es mit meinen Glasarbeiten weiter. Dabei beschäftige ich mich insbesondere mit der Entwicklung von Schlangenkörperteilen aus Glas und schlaff herabhängenden Glas-Tentakeln. Ich will unbedingt tiefer in Quantentechnologien eintauchen, beispielsweise in die sogenannte Quantenteleportation, ein Verfahren, mit dem man beispielsweise Partikel von der Ede ins All transportieren kann. Ich muss dazu ein paar Wissenschaftler:innen finden, mit denen ich eine Kooperation eingehen kann. Aber mich faszinieren all diese Quantenaspekte nach wie vor einfach ungemein, die Verschränkung oder die Teleportation, Phänomene, für die es in der Welt, die wir mit bloßem Auge erkennen können, keinerlei Entsprechung gibt.
SH: Ich möchte dir vielmals danken, Libby, dass du diese unglaubliche Ausstellung für uns erarbeitet hast, und ich bin höchst beeindruckt, wie alles im Raum zusammen funktioniert!
LH: Danke für deine einfühlsamen Fragen und die Gelegenheit, über meine Ideen zu sprechen. Ich freue mich sehr, dieses besondere Vorhaben mit euch gemeinsam zu realisieren.
«Libby Heaney: Quanten Suppe» ist noch bis zum 26. Mai im HEK zu sehen. Weitere Informationen über die Ausstellung findest Du hier.